Was war los mit euch, Grüne? Eine Analyse.

Zu dem Ausscheiden der Grünen aus dem Nationalrat konnte man in den letzten Tagen in Zeitungen und online viele Kommentare lesen. Die meisten davon wurden von Mandataren der Grünen, von ehemaligen Mitgliedern und von Journalisten geschrieben. Die Verfasser haben ein gewisses Maß an Wissen über die internen Angelegenheiten der Partei und sind daher möglicherweise etwas mehr dazu geneigt, das katastrophale Abschneiden der Grünen als Folge einiger dieser Interna zu sehen. Sie bringen natürlich auch ihre eigenen politischen Überzeugungen in diese Kommentare ein. Man liest, die Führungsspitze habe sich abgeschottet (Maurer), die Grünen seien zu belehrend gewesen (Chorherr), es mangele an innerparteilicher Demokratie (Voggenhuber), und so weiter.

Ich finde, die Grünen haben es diesmal nicht geschafft, sich selbst als eine sinnvolle Wahl anzubieten.

Das hat mehrere Gründe:

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Nationalratswahl 2017: Wie gut passen die Parteien zueinander?

Nationalratswahl 2017: Wie gut passen die Parteien zueinander?

Die Nationalratswahl und die Phase der Regierungsbildung naht. Auch wenn wir eh schon zu wissen meinen, wer mit wem in Koalition gehen wird, finde ich es interessant, nachzusehen, wie gut die politischen Programme der Parteien zueinander passen. Dazu habe ich, wie schon bei vergangenen Wahlen, die Antworten der Parteien auf die Fragen der politischen Orientierungshilfe Wahlkabine.at ausgewertet.

Die folgende Tabelle gibt den Grad der Übereinstimmung der Antworten von je zwei Parteien wieder. Genaueres zur Methodik siehe unten.

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FPÖ-WählerInnen sind nicht blöd.

Ein kurzer Hinweis zum Thema politische Taktik.

Es mag opportun scheinen, auf die Wählerinnen und Wähler der FPÖ hinabzublicken. Immerhin bietet die Partei selbst dafür einiges an Räson: Holocaustleugner, Chemtrailgläubige, KlimaerwärmungsskeptikerInnen und AnhängerInnen einiger anderer Verschwörungstheorien betätigen sich in ihren Rängen. Der Parteichef selbst ließ sich von einer Astrologin beraten und legte auch im Parlament schon den einen oder anderen peinlichen Auftritt hin.

Aber: ganz egal, wo der durchschnittliche FPÖ-Wähler in Sachen Bildungsgrad und sozialem Status steht: Er wird sich nicht von einer politischen Bewegung angesprochen fühlen, deren Proponenten über die Dummheit der FPÖ-Wählerschaft witzeln. Er wird’s auch nicht super finden, dass diejenigen Politiker, die ihn vertreten sollen, kategorisch ausgegrenzt werden. Vor allem aber wird ihn das nicht davon abhalten, beim nächsten Mal wieder die FPÖ zu wählen—vermutlich wird es ihn darin sogar bestärken. Denn „die anderen“, das „Establishment“, hätten „einen Denkzettel verdient“.

Wer also WählerInnen der FPÖ für sich gewinnen möchte, sollte sie mit ihren Sorgen, Bedürfnissen und Zielen ernst nehmen und ihnen das auch zeigen. Dazu ist es nicht notwendig, dass er die politische Linie der FPÖ übernimmt. Er sollte eine klar definierte, eigene politische Linie haben, die einfach zu erklären ist und sie auch erklären. Vor allem aber muss er bereit sein, die größeren und auch die kleineren Probleme der Wähler kennen zu lernen und zu lösen.


Nebenbemerkung:
Diesen Text habe ich großteils schon im Jänner verfasst. Er hat offenbar nichts an Aktualität eingebüßt.

Zur Wien-Wahl: Wie gut passen die Parteien zueinander?

Zur Wien-Wahl: Wie gut passen die Parteien zueinander?

Wie schon vor zwei Jahren habe ich mir auch heuer wieder anhand der Daten von wahlkabine.at angesehen, wie gut die Listen und Parteien zueinander passen — diesmal anhand der Daten für die Wiener Gemeinderats- und Landtagswahl.

Wahlkabine.at erhebt von den Listen, die wienweit antreten, Antworten auf 25 aktuelle politische Fragen. Dabei wird sowohl die Antwort (ja/nein) als auch die Gewichtung des Themas (1-3) erhoben. Eine Liste der Fragen findet ihr dort. Zweck von Wahlkabine ist es, jedem Einzelnen eine politische Orientierungshilfe zu bieten.

Die von mir erstellte Tabelle zeigt, wie gut die Ansichten der Listen zueinander passen und berücksichtigt die Gewichtung.

 

SPÖ

ÖVP

Grüne

FPÖ

NEOS

ANDAS

SPÖ 

100%

54%

68%

51%

69%

65%

ÖVP 

54%

100%

39%

74%

65%

34%

Grüne 

68%

39%

100%

45%

70%

89%

FPÖ 

51%

74%

45%

100%

53%

37%

NEOS 

69%

65%

70%

53%

100%

62%

ANDAS 

65%

34%

89%

37%

62%

100%

Dass die SPÖ mit keiner anderen Liste über 70% Übereinstimmung kommt, wundert mich nicht. Nach einer Regierungszeit bleiben tendenziell jene Dinge übrig, über die sich die Koalition nicht einigen konnte. Wenig Übereinstimmungen gibt es mit der Volkspartei und den Freiheitlichen.

Die Grünen passen halbwegs gut zu den NEOS und zur SPÖ, und sehr gut zu ANDAS.

Die FPÖ hat nur mit einer der Listen viel gemeinsam, und zwar mit der ÖVP.

Die NEOS stehen irgendwo in der Mitte zwischen ÖVP, SPÖ und Grünen.

Die ÖVP Wien „kann“ mit der FPÖ und den NEOS besser als mit der SPÖ. Allerdings sahen die Werte auf Bundesebene vor 2 Jahren ziemlich ähnlich aus.

Außerdem habe ich noch zwei Varianten für Dreierkoalitionen angesehen : SPÖ, Grüne und NEOS geben (ohne Gewichtung) auf 52% der Fragen die selbe Antwort. FPÖ, ÖVP und NEOS stimmen in nur 24% der Antworten überein. Damit gehen die Ergebnisse mit den allgemeinen Erwartungen, die SPÖ werde wieder eine Koalition mit den Grünen eingehen und gegebenenfalls die NEOS dazunehmen, konform.


Zur Auswertung

Die Antworten habe ich auf einer Skala von -3/6 (Nein, wichtig) über -1/6 (Nein, weniger wichtig), 1/6 bis 3/6 (Ja, wichtig) eingeordnet. Der Grad der Übereinstimmung zweier Parteien in einer Frage ist dann 1 minus dem Abstand der Antworten auf der Achse. Das Gesamtergebnis ergibt sich durch Mittelung über die Einzelergebnisse. Eine Änderung der Gewichtung einer Antwort um eine Stufe ändert das Gesamtergebnis um 0,6%. Die Auswertung ist mit Absicht mathematisch einfach gehalten; ihre Ergebnisse können daher maximal als Tendenz gesehen werden.

In Brüssel: Betrachtungen zum Europäischen Parlament

In Brüssel: Betrachtungen zum Europäischen Parlament

Mittlerweile laufen wieder einmal die Wahlen zum Europäischen Parlament. Bei einem Besuch im April hatte ich die Gelegenheit, mir einige Einblicke in die Arbeit der ParlamentarierInnen zu holen.

In einer Fraktionssitzung der Grünen
In einer Fraktionssitzung der Grünen

Die Fraktionen

Wer ich jetzt denkt: „ach, das kenne ich doch aus dem österreichischen Parlament: Regierungparteien, Opposition, Clubzwang und so weiter“, der lässt außer Acht, dass es im EU-Parlament keine Regierung gibt und daher auch keine Regierungsparteien. Es gibt den Kommissionspräsidenten, der je nahc Ausgang der Wahl entweder von der Europäischen Volkspartei oder von den Sozialisten und Demokraten gestellt warden wird, aber das war’s. Daher finden sich im Parlament wechselnde Mehrheiten. Das Thema Klubzwang spielt auch eine weit geringere Rolle als in den nationalen Parlamenten. Die Abgeordneten, mit denen ich darüber gesprochen habe, haben gesagt, dass sie meistens innerhalb der Fraktion doch zu einer Meinung finden. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass „Abweichler“ ziemlich normal sind.

Der Wanderzirkus

Im Gespräch mit Abgeordneten wird ganz schnell klar, was alle gerne in den grundlegenden Verträgen der EU geändert haben würden: die Tatsache, dass das Parlament einen zweiten Sitz in Straßburg hat und dort auch regelmäßig Plenarsitzungen stattfinden. In der Praxis schaut das so aus, dass einmal im Monat alle Abgeordneten mit Mitarbeitern und Akten nach Straßburg reisen, dort ein paar Nächte im Hotel schlafen, zu den Sitzungen gehen, und wieder retour fahren. Während dieser paar Nächte kosten Hotelzimmer in Straßburg fast doppelt so viel wie in den übrigen Nächten.

Außerdem müssen EU-Abgeordnete von vornherein recht viel unterwegs sein: zwischen dem eigenen Heimatort, dem Wahlkreis, den Fraktionssitzungen und Plenarsitzungen in Brüssel, den Plenarsitzungen in Straßburg und den Sitzungen der eigenen Partei in der nationalen Hauptstadt liegen verdammt viele Kilometer. Manche Parlamentarier sind schon froh darüber, wenn sie einmal zwei Nächte hintereinander im selben Bett schlafen können.

Das Parlament hat sich schon des öfteren für einen „single seat“ ausgesprochen, hat aber in dieser Sache nichts zu sagen: der Rat müsste das beschließen, und es ist klar, dass ein Land dagegen ein Veto einlegen wird.

Der Lobbyismus

Die Parlamentarier und ihre Mitarbeiter gehen immer einen recht schmalen Grat: einerseits müssen sie sich bei Industrie, Interessensvertretungen und anderen über die komplizierte Materie informieren, über die sie zu beschließen haben. Andererseits müssen sie natürlich darauf achten, sich möglichst wenig durch Lobbyisten beeinflussen zu lassen.

Es gibt in Brüssel ein Lobbyregister, das allerdings einigermaßen zahnlos ist: Lobbyisten, die ins Parlamentsgebäude wollen, sollen sich dort eintragen und bekommen dann einen Ausweis für die Parlamentsgebäude. Das heißt aber auch, dass dieses Register durch eine einfache Einladung zu einer Tasse Kaffee in einem Brüsseler Lokal umgangen werden kann–wenn der Abgeordnete mitmacht. Im Parlamentsgebäude können die Abgeordneten anhand der Ausweise erkennen, wer ehrlicher Lobbyist ist und wer seine Lobbyistentätigkeit zu verschleiern sucht.

Der Lobbyismus dürfte für Brüssel durchaus ein einträgliches Geschäft sein, denn Schätzungen zufolge arbeiten dort zehnmal so viele Lobbyisten wie EU-Abgeordnete. Einige davon dürften aber den parlamentarischen Prozess nicht richtig verstanden haben und mischen sich erst dann ein, wenn ihr Thema in die Ausschussitzungen kommt und die Meinungsbldung der Abgeordneten schon beendet ist.

E-Mails und Bürgerbeteiligung

Als normaler EU-Bürger kann man sich vor allem auf einem Weg einbringen: indem man E-Mails an seine Abgeordneten schickt. Immer wieder gibt es Online-Kampagnenwebsites, mit deren Hilfe man relativ einfach einen vorformulierten Text an einige Parlamentarier schicken kann. Mir haben aber gleich mehrere Abgeordnete bestätigt, dass diese massenhaft automatisch generierten Mails weniger beachtet werden als selbst geschriebene. Mitunter erreichen sie auch die falschen Adressaten: Abgeordnete, die gar nicht für ein bestimmtes Thema zuständig sind. Zu einem Zeitpunkt während der ACTA-Debatten haben die EU-Parlamentarier derart viele solcher Massenmails bekommen, dass die Mitarbeiter des Parlaments einfach einen Spam-Filter dafür eingerichtet haben.

Das Korrespondentenproblem

„Ich glaube, ich war öfter im italienischen TV als im österreichischen.“ sagt Eva Lichtenegger und spricht damit an, dass sich die nationalen Medien eher wenig für die Dinge interessieren, die in Brüssel vor sich gehen, auch wenn sie einen guten Teil der nationalen Gesetzgebung betreffen.

Nur sehr wenige Medien haben überhaupt Korrespondenten in Brüssel–und wenn, dann ist es oft nur einer. Ein einzelner Korrespondent hat es aber mitunter schwer: im Parlament wird eine große Zahl sehr komplexer Themen und Sachverhalte diskutiert. Es ist nicht leicht, da „am Ball“ zu bleiben. Dass die EU versucht, auch den Korrespondenten die Arbeit zu erleichtern, merkt man auch daran, dass in einem der großen Foyers eine Art Fernsehstudio gibt.

Die Vielsprachigkeit

Das Parlament muss auf die Vielsprachigkeit der EU und ihrer Bürger und Abgeordneten Rücksicht nehmen. Den obigen Werbespot gibt es in nicht weniger als 35 verschiedenen Sprachen. Die EU hat 24 offizielle Sprachen, woraus sich 552 verschiedene Kombinationen (24 x 23) ergeben. Die Plenarsitzungen werden von allen offiziellen in alle offiziellen Sprachen simultanübersetzt, sodass jeder Abgeordnete in seiner Sprache reden und der Sitzung folgen kann. Für andere Sitzungen und Treffen werden Übersetzer nach Bedarf eingeteilt. Das Parlament verfügt dazu über 330 angestellte und 1800 externe Übersetzer.

Der angenehme Nebeneffekt: Auch die Videos der Plenarsitzungen, Tagungen und Pressekonferenzen kann man sich auf der Website des Parlaments in allen Sprachen ansehen, in die sie simultanübersetzt wurden.

Die Reise wurde von den Grünen organisiert und von der Europäischen Union, den Grünen und mir selbst finanziert.