Grüne Vorwahlen

Ein Hauch von Revolution lag in der Luft an jenem Sonntagabend, als sich eine bunt gemischte Gruppe von Leuten traf, um an einem kleinen politischen Experiment zu arbeiten. Manche von ihnen wussten von den harten Sitzungen in den ersten Jahren der Grünen zu berichten, andere hatten vor Jahren einmal als Bezirksrat gearbeitet, wieder andere waren gut in Sachen Public Relations oder Medien und viele waren Experten in puncto Internet. Ihnen allen war eines gemeinsam: sie interessierten sich für einen Bereich der Politik, der normalerweise eher in den Chronikseiten der Tageszeitungen Platz in Anspruch nehmen kann–die Wiener Kommunalpolitik. Die SPÖ, die im Gemeinderat und Landtag die absolute Mehrheit hat, bestimmt die Wiener Kommunalpolitik derart, dass die Opposition nur nebenbei erwähnt wird, solange sie nicht mit mehr oder weniger absurden Vorschlägen–beleuchtete Glastürme auf öffentlichem Grund als Parkgaragen (ÖVP), Einführung einer Stadtwache (FPÖ, ÖVP), Verwendung des Falco-Songs „Vienna Calling“ als Wiener Landeshymne (BZÖ)–auf sich aufmerksam machen kann oder–so wie es die FPÖ tat–einen bizarren Vorwahlkampf mit ausländerfeindlichen Themen anzettelt. Die eigentlichen, wichtigen Themen und Positionen der Parteien bleiben den Wählern gegenüber weitgehend verborgen, weil sie innerhalb der einzelnen Parteien diskutiert werden und kaum nach außen dringen oder von den Medien nicht aufgegriffen werden. Dies wollte man nun ändern.

Die Methode, die von den Initiatoren verfolgt wurde, orientierte sich am US-amerikanischen Modell der Primaries.  Das Mittel der Wahl war eine Statutenbestimmung der Wiener Grünen, die es jedermann gestattet, sich als Unterstützer der Wiener Grünen registrieren zu lassen, ohne dabei der Partei beizutreten. Diesen Unterstützern wird ein aktives Wahlrecht bei der Erstellung der Listen für die Landtagswahlen zugestanden, sie sind jedoch in vielen anderen Dingen nicht stimmberechtigt. Die Initiative versuchte nun, Grünwähler dazu zu bringen, sich als Unterstützer registrieren zu lassen. Man wollte, dass sich die potentiellen grünen Kandidaten bereits vor dem eigentlichen Wahlkampf untereinander um die Stimmen der Unterstützer bemühen und ihre Ansichten, Argumente und Themen in die Öffentlichkeit tragen.

Der Start glückte. Binnen zwei Wochen hatte die Initiative über 200 Unterstützer bei Facebook. Einige Dutzend hatten das Registrierungsformular der Grünen Vorwahlen ausgefüllt und eingesandt. Ein paar bekannte Mitglieder der Wiener Grünen hatten sich bereits positiv dazu geäußert.
In den Medien war die Initiative auch schon. Der Standard hatte eine Kurzmeldung und später einen „Kommentar der Anderen“ von Volker Plass (Grüne Wirtschaft) gebracht, Mitte April brachten dann sowohl Der Standard als auch Die Presse und die Wiener Zeitung einen längeren Artikel. Diese Artikel hatten alle einen positiven Grundton. Dennoch machte man sich anfangs Sorgen darüber, dass die Grünen Vorwahlen zu wenige Medienberichte bekommen könnten.

Die Achillesferse der Grünen Vorwahlen war die Tatsache, dass der Landesvorstand die Anmeldungen der Vorwähler genehmigen musste. Als Testballon hatte man vor dem Start der Grünen Vorwahlen eine Anmeldung abgeschickt, die umgehend akzeptiert wurde. Mit Beginn der Initiative sahen sich die Grünen mit einer viel größeren Anzahl von Unterstützungserklärungen konfrontiert, was zu einigen hitzigen Debatten in- und außerhalb der Partei führte.

Bei jenem Treffen am lauen Sonntagabend dachte man über verschiedene Szenarien nach und meinte, es könnte durchaus passieren, dass die Grünen Vorwahlen von den Wiener Grünen „zu Tode umarmt“ werden. Einige Wochen später war es klar-das, was viele für wenig wahrscheinlich hielten, war eingetreten: die Debatte drehte sich hauptsächlich darum, ob die Vorwähler überhaupt aufgenommen würden. Viele hätten sich gewünscht, dass besonders vor der Europawahl sachpolitische Themen besprochen werden, dazu kam es leider nicht.

Durch die Grünen Vorwahlen waren auch andere, nicht öffentlich agierende Personen auf die Statutenbestimmung aufmerksam geworden. Laut Aussagen der Grünen kam es zu gesammelten Anmeldungen von Personen, die auf Rückfrage nichts von ihrem Unterstützungsantrag wussten.

Dazu kam, dass sich einige Kandidaten von den Grünen Vorwählern bedroht fühlten. Die Grünen Vorwahlen sprachen von „an uns Wählerinnen und Wählern vorbeigeschummelten Abgeordneten“ und manche fühlten sich betroffen. Schnell kippte die Stimmung. Die Vorwähler wurden als Internetfuzzis bezeichnet, man warf ihnen vor, sie würden „social waterboarding“ betreiben und gar nicht daran interessiert sein, bei den Grünen mitzuarbeiten und Flyer auszuteilen. Die traditionell basisdemokratischen Grünen sahen sich dem Vorwurf gegenüber, sie würden sich mittlerweile auch zu einer Kaderpartei gewandelt haben. Mitunter wurde die Debatte recht emotional geführt, man sprach von Lebensentwürfen der Funktionäre, „Antifa-Folklore“ und „Autobusdemokratie“.

Für viele Journalisten war dieser Konflikt interessant. Von den Salzburger Nachrichten bis zum Kurier, vom Falter bis zum Wiener Bezirksblatt wurde darüber berichtet. Der ORF widmete dem Thema einen ganzen Beitrag im Report und berichtete auch in der Zeit im Bild 2 darüber. Die Grünen bekamen ihr Fett ab–das im Report-Beitrag gezeigte Bezirksfest wurde als sehr schlecht besucht dargestellt.

Der Vorstand der Wiener Grünen führte eine lange Debatte über die Vorwahlen, dadurch wurde die Behandlung der Unterstützungsanträge lange hinausgezögert. Auch das brachte den Grünen einiges an Kritik ein. Als die Anmeldefrist nahte, bekamen viele Vorwähler Post von den Grünen. Manche wurden sofort aufgenommen, andere bat man darum, bekannt zu geben, in welchen Bereichen sie gerne bei den Grünen mitarbeiten würden. Das Interesse an den Grünen Vorwahlen wäre keine ausreichende Bereitschaft zur Mitarbeit bei den Grünen. (Kurz vorher hatten die Grünen auf ihrer eigenen Website mit folgendem Text geworben: „Du willst uns moralisch und eventuell auch finanziell unterstützen, ohne einen Finger zu rühren und ohne der Partei beizutreten. Du solltest UnterstützerIn werden.“)
Schnell wurde die Anfrage zur möglichen Mitarbeit als „Gesinnungsprüfung“ kritisiert. Es ist nicht klar, aufgrund welcher Daten die Entscheidung über eine Aufnahme, Prüfung oder sofortige Ablehnung getroffen wurde–das wurde von vielen kritisiert. Die Grünen beteuerten, im Internet nur nach offensichtlichen Unvereinbarkeiten wie zum Beispiel einer Mitgliedschaft bei einer anderen Partei zu suchen. Skurrilerweise führte das dazu, dass ein Mitglied der Grünen eine „Gesinnungsprüfung“ zugeschickt bekam. Zwei der Initiatoren der Grünen Vorwahlen wurden sofort abgelehnt.

Ein paar Wochen später wurde die endgültige Bilanz bekannt. Die Grünen Vorwahlen hatten ihr Traumziel von 500 Anmeldungen nur knapp verfehlt–445 Vorwähler hatten einen Antrag gestellt. Zirka 100 wurden sofort angenommen, zirka 130 wurden sofort abgelehnt, obwohl bei keinem einzigen eine Manipulation festzustellen war. Bei zirka 215 Anträgen wurde nachgefragt, davon wurden 130 nach Antwort angenommen. Den zirka 230 von den Grünen Vorwahlen geworbenen Unterstützern stehen also 130+(215-130)=215 Grün-Interessierte gegenüber, die sich bei den nächsten Wahlen wohl mehr Gedanken darüber machen werden, wohin sie das Kreuz setzen.

Interessanterweise haben die Grünen nach eigenen Angaben viel mehr Anträge erhalten, nämlich insgesamt 798, von denen knapp 400 aufgenommen wurden. Nur ein bisschen mehr als die Hälfte der neuen Unterstützer sind Grüne Vorwähler, es wird spannend, zu sehen, wer die anderen sind.

Wie geht es weiter? Die Grünen Vorwahlen haben im Juli offenbar eine Sommerpause eingelegt, man darf gespannt sein, was weiter passiert. Am 14. November 2009, dem Tag vor dem Parteitag, auf dem die Listen beschlossen werden, findet in Wien ein BarCamp, das „PolitCamp Vienna 2009“ statt, bei dem sicher viele Vorwähler einander treffen werden.[Update Oktober 2009: Das BarCamp wurde auf das Jahr 2010 verschoben.] Man kann also hoffen, dass die Initiative Grüne Vorwahlen trotz der Streitigkeiten ein erfolgreiches Modell für die Einbeziehung von Wählern in die politische Entscheidungsfindung wird.