In Brüssel: Betrachtungen zum Europäischen Parlament

Mittlerweile laufen wieder einmal die Wahlen zum Europäischen Parlament. Bei einem Besuch im April hatte ich die Gelegenheit, mir einige Einblicke in die Arbeit der ParlamentarierInnen zu holen.

In einer Fraktionssitzung der Grünen
In einer Fraktionssitzung der Grünen

Die Fraktionen

Wer ich jetzt denkt: „ach, das kenne ich doch aus dem österreichischen Parlament: Regierungparteien, Opposition, Clubzwang und so weiter“, der lässt außer Acht, dass es im EU-Parlament keine Regierung gibt und daher auch keine Regierungsparteien. Es gibt den Kommissionspräsidenten, der je nahc Ausgang der Wahl entweder von der Europäischen Volkspartei oder von den Sozialisten und Demokraten gestellt warden wird, aber das war’s. Daher finden sich im Parlament wechselnde Mehrheiten. Das Thema Klubzwang spielt auch eine weit geringere Rolle als in den nationalen Parlamenten. Die Abgeordneten, mit denen ich darüber gesprochen habe, haben gesagt, dass sie meistens innerhalb der Fraktion doch zu einer Meinung finden. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass „Abweichler“ ziemlich normal sind.

Der Wanderzirkus

Im Gespräch mit Abgeordneten wird ganz schnell klar, was alle gerne in den grundlegenden Verträgen der EU geändert haben würden: die Tatsache, dass das Parlament einen zweiten Sitz in Straßburg hat und dort auch regelmäßig Plenarsitzungen stattfinden. In der Praxis schaut das so aus, dass einmal im Monat alle Abgeordneten mit Mitarbeitern und Akten nach Straßburg reisen, dort ein paar Nächte im Hotel schlafen, zu den Sitzungen gehen, und wieder retour fahren. Während dieser paar Nächte kosten Hotelzimmer in Straßburg fast doppelt so viel wie in den übrigen Nächten.

Außerdem müssen EU-Abgeordnete von vornherein recht viel unterwegs sein: zwischen dem eigenen Heimatort, dem Wahlkreis, den Fraktionssitzungen und Plenarsitzungen in Brüssel, den Plenarsitzungen in Straßburg und den Sitzungen der eigenen Partei in der nationalen Hauptstadt liegen verdammt viele Kilometer. Manche Parlamentarier sind schon froh darüber, wenn sie einmal zwei Nächte hintereinander im selben Bett schlafen können.

Das Parlament hat sich schon des öfteren für einen „single seat“ ausgesprochen, hat aber in dieser Sache nichts zu sagen: der Rat müsste das beschließen, und es ist klar, dass ein Land dagegen ein Veto einlegen wird.

Der Lobbyismus

Die Parlamentarier und ihre Mitarbeiter gehen immer einen recht schmalen Grat: einerseits müssen sie sich bei Industrie, Interessensvertretungen und anderen über die komplizierte Materie informieren, über die sie zu beschließen haben. Andererseits müssen sie natürlich darauf achten, sich möglichst wenig durch Lobbyisten beeinflussen zu lassen.

Es gibt in Brüssel ein Lobbyregister, das allerdings einigermaßen zahnlos ist: Lobbyisten, die ins Parlamentsgebäude wollen, sollen sich dort eintragen und bekommen dann einen Ausweis für die Parlamentsgebäude. Das heißt aber auch, dass dieses Register durch eine einfache Einladung zu einer Tasse Kaffee in einem Brüsseler Lokal umgangen werden kann–wenn der Abgeordnete mitmacht. Im Parlamentsgebäude können die Abgeordneten anhand der Ausweise erkennen, wer ehrlicher Lobbyist ist und wer seine Lobbyistentätigkeit zu verschleiern sucht.

Der Lobbyismus dürfte für Brüssel durchaus ein einträgliches Geschäft sein, denn Schätzungen zufolge arbeiten dort zehnmal so viele Lobbyisten wie EU-Abgeordnete. Einige davon dürften aber den parlamentarischen Prozess nicht richtig verstanden haben und mischen sich erst dann ein, wenn ihr Thema in die Ausschussitzungen kommt und die Meinungsbldung der Abgeordneten schon beendet ist.

E-Mails und Bürgerbeteiligung

Als normaler EU-Bürger kann man sich vor allem auf einem Weg einbringen: indem man E-Mails an seine Abgeordneten schickt. Immer wieder gibt es Online-Kampagnenwebsites, mit deren Hilfe man relativ einfach einen vorformulierten Text an einige Parlamentarier schicken kann. Mir haben aber gleich mehrere Abgeordnete bestätigt, dass diese massenhaft automatisch generierten Mails weniger beachtet werden als selbst geschriebene. Mitunter erreichen sie auch die falschen Adressaten: Abgeordnete, die gar nicht für ein bestimmtes Thema zuständig sind. Zu einem Zeitpunkt während der ACTA-Debatten haben die EU-Parlamentarier derart viele solcher Massenmails bekommen, dass die Mitarbeiter des Parlaments einfach einen Spam-Filter dafür eingerichtet haben.

Das Korrespondentenproblem

„Ich glaube, ich war öfter im italienischen TV als im österreichischen.“ sagt Eva Lichtenegger und spricht damit an, dass sich die nationalen Medien eher wenig für die Dinge interessieren, die in Brüssel vor sich gehen, auch wenn sie einen guten Teil der nationalen Gesetzgebung betreffen.

Nur sehr wenige Medien haben überhaupt Korrespondenten in Brüssel–und wenn, dann ist es oft nur einer. Ein einzelner Korrespondent hat es aber mitunter schwer: im Parlament wird eine große Zahl sehr komplexer Themen und Sachverhalte diskutiert. Es ist nicht leicht, da „am Ball“ zu bleiben. Dass die EU versucht, auch den Korrespondenten die Arbeit zu erleichtern, merkt man auch daran, dass in einem der großen Foyers eine Art Fernsehstudio gibt.

Die Vielsprachigkeit

Das Parlament muss auf die Vielsprachigkeit der EU und ihrer Bürger und Abgeordneten Rücksicht nehmen. Den obigen Werbespot gibt es in nicht weniger als 35 verschiedenen Sprachen. Die EU hat 24 offizielle Sprachen, woraus sich 552 verschiedene Kombinationen (24 x 23) ergeben. Die Plenarsitzungen werden von allen offiziellen in alle offiziellen Sprachen simultanübersetzt, sodass jeder Abgeordnete in seiner Sprache reden und der Sitzung folgen kann. Für andere Sitzungen und Treffen werden Übersetzer nach Bedarf eingeteilt. Das Parlament verfügt dazu über 330 angestellte und 1800 externe Übersetzer.

Der angenehme Nebeneffekt: Auch die Videos der Plenarsitzungen, Tagungen und Pressekonferenzen kann man sich auf der Website des Parlaments in allen Sprachen ansehen, in die sie simultanübersetzt wurden.

Die Reise wurde von den Grünen organisiert und von der Europäischen Union, den Grünen und mir selbst finanziert.