Ein paar ungeordnete Gedanken zur Flüchtlingskrise.

Im folgenden habe ich einige ungeordnete Gedanken zur „Flüchtlingskrise“ niedergeschrieben. Ich freue mich auf Eure Reaktionen und Diskussionen in den Kommentaren, auf Twitter und auf Facebook.

  • Es geht um Menschen. Die Flüchtlinge sind keine undefinierte Masse, die durch Europa fließt; sie sind keine Viehherde, die berittene Polizei durchs Land treiben soll (siehe Slowenien), und sie haben es auch nicht verdient, in schmutzige, umzäunte Camps eingepfercht zu werden. Jeder Flüchtling hat seine eigene Geschichte und ein Recht auf menschenwürdige Behandlung.
  • Es gibt keine Festung Europa. Die Metapher tauchte (wieder) auf, als Flüchtlinge in größeren Zahlen bei der Überfahrt von Nordafrika nach Italien ertranken. Sie funktioniert dann gut, wenn man den Staaten der EU vorwerfen möchte, die Flüchtlinge absichtlich umzubringen. Ich hoffe, dass sich Europa gegen Flüchtlinge nicht so verteidigt, wie es Festungen gegen Angreifer taten: mit Waffengewalt.
  • Es gibt keine einfache Lösung. Es gibt vielleicht gute Lösungen, aber sie sind aufwändig und schwierig. Es gibt vielleicht langfristige Lösungen, nämlich, die Regionen zu befrieden. Es gibt eine schnell umsetzbare pragmatische Lösung, nämlich, jenen zu helfen, die Hilfe brauchen.
  • Grenzbefestigungen innerhalb Europas sind relativ sinnlos. Zäune und Mauern funktionieren, wenn sie, wie der Eiserne Vorhang, bewacht und mit Waffengewalt verteidigt wurden. Das wollen wir nicht mehr.
    Der Grenzschutz innerhalb Europas ist nicht darauf ausgelegt, mit hunderten oder tausenden Menschen auf einmal umzugehen.
  • Schlepper sind klarerweise als Kriminelle zu verfolgen. Die Schlepperei selbst kann man aber einfach als illegale, marktwirtschaftliche Dienstleistung betrachten. Daraus ergeben sich ein paar Schlussfolgerungen:
    • Die Schleppung wird teurer, je höher das Risiko für die Schlepper ist.
    • Sie wird auch teurer, je sicherer und erfolgversprechender sie ist.
    • Die Folgen der Profitmaximierung—überbelegte Boote, vollgestopfte Fahrzeuge, Tote–sehen wir in den Medien
    • Den Schleppern lässt sich das Handwerk legen, indem man Transport billiger und sicherer anbietet.
  • Österreich ist in einer relativ bequemen Position, solange Deutschland die meisten Flüchtlinge aufnimmt. Sollte sich Deutschland dazu entschließen, dies nicht mehr zu tun, könnten viele weitere Flüchtlinge in Österreich um Asyl ansuchen und das heimische System überfordern. Auch die Frage, wohin Personen, deren Asylanträge abgelehnt wurden, abgeschoben werden, ist wichtig.
  • Einige Flüchtlinge sind für die Wirtschaft durchaus interessant. Manche von ihnen sind gut ausgebildete Menschen, die „nur“ mehr Deutsch lernen und ihre Ausbildung anerkennen lassen müssen, um hier gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Im Prinzip sind das jene, die sich der Staat schon vorher holen hätte können, hätte er eine ordentliche Einwanderungspolitik. Für das Sozialsystem sind sie nur anfangs eine Belastung, nachher zahlen sie ein. Zuwanderung von jungen Menschen hilft auch dabei, das Pensionssystem gegen Überalterung der Gesellschaft zu schützen.
  • Die Gefahr, dass es durch die Flüchtlingswellen zu mehr terroristischen Anschlägen kommt, weil die Terroristen unbemerkt einreisen können, ist eher gering. Terroristen hatten schon bisher die finanziellen und logistischen Mittel, um sich falsche Pässe und Flugtickets zu besorgen. Eventuell könnten Flüchtlinge für islamischen Fundamentalismus zugänglich werden, wenn sie nicht gut in die Gesellschaft integriert werden. Andererseits sind viele von ihnen vor einem religiösen Konflikt geflohen.
  • Es gibt die Behauptung, Menschen würden sich als Syrer ausgeben, um bessere Chancen auf Asyl zu haben. Das klingt nach einer plausiblen taktischen Strategie. Es scheint mir auch plausibel, dass die Behörden mit Hilfe von Übersetzern diesen Trick durchschauen. Jedenfalls ändert das nichts daran, dass Leute, die tatsächlich aus Syrien kommen, das Recht haben, als Flüchtlinge anerkannt zu werden.
  • Alles in allem ist die Zahl der Flüchtlinge für Europa absolut verkraftbar. In der EU leben über 500 Millionen Menschen. Fünf Millionen Flüchtlinge (aus Syrien) wären etwa ein Prozent davon. Teilte man sie gleichmäßig auf die EU auf, kämen etwa 810.000 nach Deutschland und etwa 86.000 nach Österreich. Nimmt man Flüchtlinge aus allen Herkunftsländern zusammen, dann hat Deutschland hat diese Zahl schon erreicht und Österreich ist auf bestem Wege, dies in den nächsten Monaten auch zu tun.
  • Die gesetzliche Lage sieht Unterschiede zwischen anerkannten Flüchtlingen (flüchten vor Krieg im eigenen Land) und Asylwerbern (flüchten vor politischer Verfolgung) vor.
  • Dass das Dublin-Verfahren bei einer größeren Zahl von Asylwerbern bzw. Flüchtlingen nicht gut funktioniert, hätte man in der EU schon in den 90er Jahren erkennen können.