Meinungsverstärker Social Media?

Vor ein paar Wochen habe ich meinen Twitter-Account vorübergehend ruhend gestellt*. Der Grund dafür war, dass ich einerseits viel Zeit auf Twitter verbracht habe, andererseits aber für mich, in diesem Moment, den Eindruck hatte, daraus nicht wirklich viel Nutzen zu ziehen. Das ist nicht als Kritik an Twitter oder der „Twitteria“ gedacht – es ist bloß mein Eindruck.

In der Zwischenzeit sind mir viele Dinge aufgefallen, die ich auf Twitter posten hätte können. Ich hätte den @WienerLinien tweeten können, dass in der Straßenbahngarnitur mit der Nummer 26 die Störungsmeldung nicht zu hören ist („dingdong-krcrhhrch…chksksrk-dongding“). Ich hätte ein paar Fotos von Essen posten können und auch das eine oder andere nette Meme. Ein paar Artikel aus einem Medium wie etwa der New York Times hätte ich wahrscheinlich auch getweetet.

Viele Tweets, die ich mir in der Zwischenzeit – ohne jegliche Entzugserscheinungen – verkniffen habe, waren reine Meinungs-Tweets. Darunter positive („Meine Augenärztin ist so gut organisiert, dass ich auf ein E-Mail mit einer Terminanfrage binnen einer halben Stunde eine Antwort bekomme“) und auch einige negative („Ich finde (…) soo nervig!“)

Ein Blick in meine Twitter-Timeline zeigt: Mit den negativen Tweets wäre ich absolut nicht alleine gewesen. Es mag therapeutisch sein, sich den Frust über kleine Probleme des Alltags und größere Probleme der Welt und der Politik wienerisch matschgernd von der Seele zu schreiben. Bekommt man ein Echo, so erfährt man: „Du bist mit deinem Ärger nicht alleine.“ Mein Eindruck ist, dass manche dieser Tweets in der Echokammer namens „Twitterbubble“ ganz besonders lange nachhallen. Manche der Tweets sind auch einfach pure unqualifizierte Meinung: „Bin ich froh, dass Club-Mate die Flaschen ausgehen – das Zeug schmeckt ja eh wie nasse Zigarettenstummel.“ (Nebenbemerkung: Woher weiß der Schreiber, wie nasse Tschickstummel schmecken? 😉 )

Aber ist es denn sinnvoll, sich mehrmals täglich die Matschgerei einiger via Timeline zu Gemüte zu führen? Tut es dem eigenen Gemüt gut, regelmäßig agitiert zu werden? Ich mutmaße: nein.

Ein kurzer Blick in meine eigenen Statistiken auf Twitter zeigt: reine Meinungs-Tweets sind auch nicht unter jenen Tweets, die „gut gehen“, also besonders viele Retweets oder Interaktionen bekommen. Es scheint eher so, als ob sich gar nicht so viele Leute dafür interessieren.

Versteht mich nicht falsch: ich wünsche mir kein „Web 2.Biedermeier“, in dem jeder seine Meinung für sich behält, um bloß nicht aufzufallen. Ich wünsche mir mehr themenorientierte Twitteraccounts. Und ich wünsche mir auch, dass ihr darüber nachdenkt, ob euch selbst die Meinungsberieselung per Twitter und Facebook guttut – oder nicht.


* nicht abgeschaltet oder aufgegeben – ich habe bloß die App von meinem Handy gelöscht und getweetet, dass man mich auf anderem Wege besser erreichen könne.