Wissenschaftsminister Hahn hat in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage die Kosten des Projekts offen gelegt.
Auf der „Whistleblower“-Website Wikileaks ist eine Anleitung zur Bedienung des e-Voting-Systems aufgetaucht, die Anlass zur Sorge gibt.
Zu guter Letzt wurde bekannt, dass die eingesetzte Software der Firma Scytl bei vergangenen Wahlen nicht besonders gut abgeschnitten hat.
Kosten
Die Kosten des ganzen sind nicht unerheblich:
Wissenschaftsminister Johannes Hahn bezifferte in der Beantwortung einer FPÖ-Anfrage die bisherigen Kosten mit 371.780 Euro (Stand 1. April). Die endgültigen Kosten seien noch nicht abschätzbar.
(Die Presse, 09.04.2009)
Dafür bekommen dann ein paar Tausend Studierende die Möglichkeit, ihre Stimme online abzugeben (wir erinnern uns: 10.000 Lesegeräte werden kostenlos ausgegeben).
Toll, oder? Um das Geld (37€ pro e-Voter) könnte man doppelt so viele Studierende mit dem Taxi zum Wahllokal bringen–und das sind gerade mal die bisherigen Kosten.
Ablauf der Wahlen
Wikileaks hat unterdessen zwei Handbücher des e-Voting-Systems bekommen und als (ein) PDF veröffentlicht. Einige glaubten, in dem Handbuch Hinweise auf eine Funktion zum Löschen von Wählerdaten gefunden zu haben (Handbuch Seite 6), das dürfte aber doch nicht der Fall sein.
Auffällig ist, dass die gesamte Tätigkeit der Wahlkommissionen und Unterkommissionen, vom Erstellen der Wählerlisten zu den Niederschriften der Sitzungen und schlussendlich zur Verständigung der gewählten Kandidaten, im elektronischen System abgebildet wird. Die Unterkommissionen sollen dabei die Ergebnisse der Auszählung direkt über das Internet in das Wahlsystem eintippen.
Das heißt aber auch, dass die Papierwahl nicht viel sicherer als die elektronische Wahl ist. Es ist nicht klar, ob es auffiele, wenn der zentrale Computer ein paar Stimmen unter den Tisch fallen ließe. Die Stimmzettel können zwar im Nachhinein nochmal gezählt werden, aber es ist nicht offen sichtlich, ob die Ergebnisse aus dem e-Voting-Prozess separat verfügbar sind, damit man beanstandete Entscheidungen nachrechnen kann.
Im Übrigen: Das System, nach dem die Mandate an die Fraktionen usw. zugeteilt werden ist ziemlich aufwändig und in der Hochschülerschaftswahlordnung festgelegt. Man muss hoffen, dass das fehlerfrei implementiert wurde.
Software
Software der spanischen Firma Scytl, die auch die Software für die ÖH-Wahlen stellt, wurde bei einer lokalen Wahl in Finnland bereits eingesetzt. Dabei sind 232 Stimmen, 2% aller Stimmen, verloren gegangen. Die Wahlen müssen nun nach einer Entscheidung des Höchstgerichts wiederholt werden.
Heuer wird es bei den Hochschülerschaftswahlen erstmals möglich sein, per e-Voting an den Wahlen teilzunehmen. Als ehemaliger Fakultätsvertretungsvorsitzender und Noch-Student lasse ich mir das nicht entgehen-aber ganz ohne Bedenken läuft die Sache nicht ab.
Hintergrund zu den ÖH-Wahlen
Die Hochschülerschaftswahlen leiden seit langem unter einer relativ geringen Wahlbeteiligung. Alle Studierenden sind aufgerufen, ihre Vertreter auf zwei Ebenen zu wählen: einerseits die Universitätsvertretung, andererseits die Studienvertretung. Für die Universitätsvertretung gilt ein Listenwahlrecht, man kann also z.B. den VSStÖ, GRAS oder die AG wählen. Die Studienvertretungen werden per Personenwahlrecht besetzt, man darf aus der Liste der Kandidatinnen und Kandidaten je nach Größe der zu vertretenden Studienrichtungen drei oder fünf Kreuze auf dem Wahlzettel machen. Die gewählten Organe entsenden dann „nach oben“ in die beiden weiteren Ebenen der ÖH: die Studienvertretungen in die Fakultätsvertretungen* und die Universitätsvertretungen in die Bundesvertretung. Bis 2003 konnten die Studierenden übrigens alle vier Ebenen separat wählen.
Eine Besonderheit des ÖH-Wahlrechts ist, dass ein Student, der mehrere Studienrichtungen inskribiert hat, die von unterschiedlichen Studienvertretungen betreut werden, für alle diese Studienvertretungen wahlberechtigt ist.
Die Wahlbeteiligung bei den ÖH-Wahlen ist seit längerem eher gering und liegt generell um die 30%.
Wozu e-Voting?
Der Standard berichtete vor einigen Monaten über die Pläne und Motive des Wissenschaftsministers:
Hahn will damit der „sich reduzierenden Wahlbeteiligung“ entgegenwirken, barrierefreies Wählen für Behinderte sicherstellen und auf lange Sicht auch Kosten sparen. Außerdem erhofft er weniger „unbewusst falsche Stimmabgaben“ („Wahlprozess muss im Wahlvorgang nochmals bestätigt werden bevor er abgeschickt wird“) und eine „schnellere und zuverlässigere Resultatsermittlung“.
(derStandard.at, 29.10.2007)
Diese Motive sind schön und gut, sollten aber gut hinterfragt werden.
Zu den ÖH-Wahlen sind über 200.000 Studierende wahlberechtigt. Das Ministerium verteilt 10.000 Chipkartenlesegeräte kostenlos, also könnten-falls alle Geräte einen Besitzer finden-weniger als 5% der Studierenden ihre Stimme per e-Voting abgeben. Ein Teil der e-Voting-Benützer wäre ohnehin zu den Wahlen gegangen, es scheint also unwahrscheinlich, dass die Wahlbeteiligung durch e-Voting um mehr als 4% zunimmt.
Die Resultatsermittlung ging bisher eigentlich meistens recht schnell und zuverlässig. Dass das eine oder andere Ergebnis angefochten wird kommt vor, es scheint aber unwahrscheinlich, dass e-Voting zu einer geringeren Zahl an Anfechtungen führt.
Allerdings sind die ÖH-Wahlen ein netter und bequemer Testlauf für e-Voting: die potentiellen Wähler sind jung, gebildet, leicht zu erreichen und eine vergleichsweise homogene Gruppe. Außerdem kennen sich die meisten gut mit Computern aus.
Wie’s umgesetzt wird
E-Voting wird in eine schmucke „Initiative zum Ausbau von Online-Serviceleistungen für Studierende“ (Zitat aus dem Werbematerial) mit dem Namen studi.gv.at verpackt, an der neben dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung auch das Bundeskanzleramt, das Finanzministerium und die Sozialversicherung beteiligt sind.
Den Studierenden wird die Initiative auf mehrere Arten schmackhaft gemacht. „Keine Lust auf lange Behördenwege?“, „Stipendium bequem von zuhause beantragen?“ und „Geld vom Finanzminister online zurückholen?“ steht im Werbematerial. Wer registriert wurde und sich auf studi.gv.at einloggt, bekommt außerdem einen kostenlosen Platz auf der Gästeliste eines Clubbings als Zuckerl.
Registrierung? Ja, man muss zu einem Informationsstand gehen und dort seine e-Card (Sozialversicherungskarte) zur Verwendung als Bürgerkarte freischalten lassen. Diese Bürgerkartenfunktion erlaubt es auch, Behördenwege online zu erledigen. Von den Lesegeräten, die man zur Verwendung der Bürgerkarte braucht, verschenken die Initiatoren (wohl allen voran das Wissenschaftsministerium) 10.000 Stück an die Studierenden, die sich zu e-Voting registrieren.
Anmeldung und so weiter
Zu e-Voting anmelden kann man sich einfach, indem man zu einem der Informationsstände geht, die studi.gv.at an den Unis organisiert und recht offensiv bewirbt. Ein amtlicher Lichtbildausweis und die e-Card sind natürlich notwendig. Die Registrierung selbst ist ein langer Prozess und dauert pro Person geschätzte 10 bis 15 Minuten. Der Mitarbeiter von studi.gv.at musste sich auf dem Laptop durch eine Vielzahl an Formularen durchklicken, mal seine eigene, mal meine e-Card in das Lesegerät stecken, Codes eintippen und so weiter. Ein wenig wunderte es mich, dass ich selbst nie ersucht wurde, einem Vertrag oder Benutzungsbedingungen zuzustimmen. Entweder es ist alles durch Gesetze und Verordnungen geregelt, die für mich ohnehin gelten, oder der nette Mitarbeiter hat für mich zugestimmt.
Sicherheitslücken gehen vor
Daheim angekommen musste ich die Bürgerkartenumgebung aus dem Internet herunterladen und auf meinem PC installieren. Die Installation unter Windows Vista verlief einigermaßen klaglos.
Interessant wurde es, als ich das nächste Mal einen Virenscanner über den PC liefen ließ.
Da hat sich doch glatt eine Sicherheitslücke in die Bürgerkarten-Software eingeschlichen! Kaspersky hat eine nähere Beschreibung der Sicherheitslücke auf Viruslist.com veröffentlicht. Kurzzusammenfassung: „Hoch gefährlich“ und „Remote“, d.h. ein Angreifer braucht keinen Zugang zum Computer, um seinen Angriff durchzuführen.
Ablauf der Wahlen
Bei der Durchführung der Wahlen wird miteingerechnet, dass einzelne Studierende Probleme mit dem e-Voting-System haben könnten. Aus diesem Grund werden die Wahlen folgendermaßen ablaufen:
Frist für die Registrierung
18. Mai 2009 08:00 Beginn e-Voting
22. Mai 2009 18:00 Ende e-Voting
Alle, die per e-Voting gewählt haben werden aus dem Wählerverzeichnis für die Papierwahl gestrichen.
26. Mai 2009 Beginn der Papierwahl
28. Mai 2009 Ende der Papierwahl und Auszählung aller Stimmen, auch der e-Voting-Stimmen
Wahlbeeinflussung klassisch
Wie bereits oben erwähnt ist es möglich, in Österreich beliebeg viele Studienrichtungen gleichzeitig zu inskribieren, solange man nicht eine Studienrichtung an mehreren Universitäten gleichzeitig belegt (das ist nämlich nicht gestattet). Die Wahlberechtigung für die Studienvertretung ergibt sich rein durch die Inskription, es ist für die Wahlen irrelevant, ob der Studierende tatsächlich die Lehrveranstaltungen besucht. Auf www.studi.gv.at/faq wird das folgendermaßen beschrieben:
Was für Auswirkungen hat der Wahltourismus auf die ÖH-Wahlen?
Das ÖH-Wahlrecht sieht die Möglichkeit für jede/n Studierende/n vor, in jede/r von ihr/ihm belegten Studienrichtung von ihrem/seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Belegt ein/e Studierende/r ein Studium nur um an der Wahl teilnehmen zu können, hat dies vorrangig wahltaktische Hintergründe, ist aber rechtlich zulässig. Diese Entwicklung ist nicht erwünscht und ist international unüblich. Es steht aber in keinem ursächlichen Zusammenhang mit E-Voting.
Der Wahltourismus ist keine Manipulation der ÖH-Wahlen, sondern die Ausnützung rechtlicher Möglichkeiten und steht nicht in Zusammenhang mit E-Voting.
Diese Taktik wird von vielen Fraktionen gerne angewandt und von den meisten ebenso gerne unter den Tisch gekehrt. Für die Mitglieder der einzelnen Wahlkommissionen ist es offensichtlich, wie viele Wähler schon anderwärtig wählen waren, weil bei jedem Wahlvorgang eine Nummer in den Studentenausweis gestempelt wird. In den kleineren Studienrichtungen fallen auch jene Leute auf, die man noch nie zuvor an der Uni gesehen hat und die den Weg zum Wahllokal nicht finden.
Mir selbst fiel auch schon auf, dass in den Sommersemestern der ungeraden Jahre meine Studienrichtung mehr Neuinskribenten hatte als in den geraden Jahren.
Wahlbetrug?
Eines vorweg: keine Wahl mit einem Wählerkreis von der Größe der ÖH-Wahlen ist von Wahlbetrug vollkommen gefeit; es wird immer die Möglichkeit geben, die Wahl zu manipulieren. Die Frage, die man sich stellen muss, ist „Wie groß ist der Aufwand, um eine merkbare Veränderung des Wahlergebnisses herbeizuführen und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das unbemerkt bleibt?“
Klassische Papierwahlen sind einigermaßen sicher-der Aufwand, um das Ergebnis einer einzelnen Wahlkommission (oder bei den Nationalratswahlen: eines Wahlsprengels) zu beeinflussen ist überschaubar, der Effekt aber auch. Nur mit großem Aufwand kann das Gesamtergebnis nennenswert beeinflusst werden. In manchen Fällen flöge der Wahlbetrug bei einer Neuauszählung der Stimmen auf.
Elektronische Wahlen sind nur so sicher, wie die Systeme, auf denen sie durchgeführt werden. Im Falle einiger amerikanischer Bundesstaaten und einiger europäischer Länder sind das die bekanntermaßen manipulierbaren Wahlmaschinen, im Falle der ÖH-Wahlen sind das die Computer des Bundesrechenzentrums.
Das große Problem: Wenn es jemand schaffen sollte, in das System einzudringen und soweit zu kommen, dass er oder sie eine Stimme manipulieren könnte, dann könnte er oder sie möglicherweise gleich das gesamte Wahlergebnis beeinflussen. Ob man dann realisiert, dass die Wahl manipuliert wurde, ist nicht sicher.
Fazit
Ich bin froh, dass die bundesweiten Wahlen nach wie vor mit ganz gewöhnlichen Wahlzetteln durchgeführt werden und hoffe, dass e-Voting ein Versuch bleibt.