Hin und wieder gibt’s an dieser Stelle einen kurzen politischen Kommentar von mir. Das aktuelle Thema? Griechenland. Lassen wir für ein paar Minuten die sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen außer Acht und konzentrieren wir uns auf die taktischen Aspekte.
Ich halte die Ankündigung eines Referendums über die Sparvorschläge der Eurogruppe für einen recht geschickten Schachzug. Aber ich habe mir natürlich auch die Frage gestellt, warum Alexis Tsipras das tut.
Eine einfache Begründung ist jene, die Tsipras selbst angegeben hat: Die Syriza sei nur von einer Minderheit der WählerInnen gewählt worden und er wolle so eine weitreichende Entscheidung, die zudem der Parteilinie widerspricht, nicht selbst treffen.
Das ist prinzipiell eine ganz gute Begründung für eine Volksbefragung. Die VertreterInnen der EU konnten dieser Begründung nicht viel entgegensetzen. Es ist nicht ganz einfach, zu argumentieren, warum eine Volksbefragung über Kurzparkzonen und Öko-Kraftwerke zulässig sein soll, eine über die finanzielle Zukunft des Landes aber nicht.
Auch aus einer innenpolitischen Sicht ist das ziemlich praktisch: Die Volksbefragung könnte Tsipras gestatten, die aus seiner Sicht eher schlechten Vorschläge der EU anzunehmen und nachher dennoch fest im Sattel zu sitzen.
Aber das ist nicht der Plan, und zwar aus folgendem Grund: Tsipras hat für den Fall eines „Ja“ zu den Sparvorschlägen den Rücktritt angekündigt.
Eine kurze Rückblende ins Österreich der späten 70er: Zu einer Zeit, als ein „Ja“ noch sicher schien, beschloss die Regierung unter Kanzler Bruno Kreisky eine Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf. Es entstand eine hitzige Debatte, in deren Laufe die Zustimmung schwand, wodurch sich Kreisky mehr und mehr auf die Abstimmung einschoss und für den Fall eines „Nein“ den eigenen Rücktritt in den Raum stellte. Der Plan war, dadurch die eigenen Fans dazu zu bringen, mit „Ja“ zu stimmen—und er ging in die Hose, wie dadurch einige politische Gegner motiviert wurden, mit „Nein“ zu stimmen, um den von ihnen ungeliebten Kanzler loszuwerden. Die Abstimmung brachte ein denkbar knappes „Nein“, Kreisky trat nicht zurück und erreichte im Jahr darauf die absolute Mehrheit.
Für einen Politiker, der nicht besonders fest im Sattel sitzt, und eine Volksbefragung, deren Ausgang alles andere als sicher ist, ist also eine Rücktrittsankündigung wie jene von Alexis Tsipras eine schlechte Idee—solange es um das Ergebnis der Volksbefragung geht.
Warum tut Tsipras das?
Das Plebiszit ist ein verhandlungstaktischer Schachzug. Die griechische Regierung versetzt damit die Eurogruppe ein bisschen in die Position, in Griechenland kurz Wahlkampf machen zu müssen, in der Hoffnung, dass sie den Griechen ein „Ja“ mit dem einen oder anderen Zugeständnis schmackhaft macht und mit der Aussicht, dass sich auch die Regierung selbst überzeugen lässt. Das hat ein bisschen funktioniert. Jean-Claude Juncker ist sofort darauf eingestiegen, aber die Änderungen am Sparpaket dürften bis jetzt eher gering sein.
Tsipras‘ Rücktrittsankündigung sollte für die Eurogruppe eine Drohung sein: Wenn ihr nicht noch weiter nachgebt, wird es zu Neuwahlen kommen, die ein paar Monate Stillstand und eine politisch ungewisse, instabile Zukunft mit sich bringen werden. Ob Tsipras diese Drohung tatsächlich wahr macht, werden wir möglicherweise noch sehen.
Von Janis Varoufakis ist ja mittlerweile allgemein bekannt, dass er unter anderem ein Buch über Spieltheorie geschrieben hat. Eric Frey hat im Standard versucht, mit einem einfachen spieltheoretischen Modell die Handlungen Griechenlands gegenüber der EU in letzter Zeit nachzuvollziehen. Ich würde euch vorschlagen, an dieser Stelle schnell den verlinkten Blogpost zu lesen. Aber hier eine Kurzfassung: In dem Modell gibt’s zwei Spieler (Griechenland und die EU) und drei realistische Szenarien:
1.) Sparpolitik mit EU-Hilfe,
2.) EU-Hilfe ohne Sparpolitik und
3.) keine EU-Hilfe (den „Grexit“), natürlich auch ohne Sparpolitik.
Beide Seiten versuchen, aus der Situation für sich das Beste herauszuholen. Gelingt es der griechischen Regierung, sich und die EU darauf festzulegen, dass kein Sparkurs gefahren wird, dann ist es—so die mutmaßliche Annahme Griechenlands—für die EU dennoch sinnvoller, weiter Hilfe zu leisten. Der Volksentscheid könnte ein Weg sein, eine solche Festlegung zu treffen. Syriza hätte dann „gewonnen“. Die Rücktrittsdrohung sollte für die EU Option 2 im Vergleich zu Option 1 attraktiver machen. Die Taktik ginge aber daneben, falls die Eurogruppe feststellen sollte, dass der Staatsbankrott und der „Grexit“ für sie die bessere Variante ist.
Das Wochenende wird also auch aus taktischer Sicht noch spannend.
(Dank an: @alwacker)