Die Presse hat Anfang dieser Woche berichtet, dass es im Unterrichtsministerium konkrete Pläne gibt, Türkisch in die lange Liste jener Sprachen, die in den allgemeinbildenden höheren Schulen als zweite lebende Fremdsprache angeboten werden können, aufzunehmen. Insbesondere habe das Ministerium schon die geisteswissenschaftliche Fakultät der Universität Graz damit beauftragt, Lehrpläne für das Lehramtsstudium Türkisch auszuarbeiten. Der Bundesregierung scheint dies sehr unangenehm zu sein, man übte sich im kollektiven Zurückrudern und Dementieren. Die Presse schrieb dann gestern von „übertriebenem Wirbel„.
In jeden Fall hat diese Debatte wieder einmal die paar Millionen österreichischen Experten für Bildungspolitik,Integrationspolitik und Fußball aus dem Bau gelockt. Der zu erwartende Aufruhr blieb nicht aus.
Ich möchte hier auf einige Argumente aus einem Blogpost von Roman Korecky, einem Wiener SPÖ-Mitglied und „Bildungsreferent der Sektion 10“, eingehen, weil ich manche davon für hilfreich halte und mich über andere ärgere.
Korecky betont, dass Kinder, die es in unserem integrantenfeindlichen Schulsystem bis in die siebente bzw. neunte Schulstufe schaffen, bereits außerordentlich gut integriert sein müssen. Ohne nahezu perfekte Deutschkenntnisse könnten sie dem Schulunterricht nicht folgen. Türkisch als zweite lebende Fremdsprache würde keine Parallelgesellschaften fördern, sondern eventuell sogar deren Entstehung entgegenwirken und zur Weltoffenheit beitragen.
So weit, so gut. Das finde ich auch. Dann bringt Korecky ein seltsames, aber umso beliebteres Spiel: Wir stellen uns mal vor, wir sind ein Ausländer…Migrant…Mitbürger mit Migrationshintergrund und packen die gängigsten Klischees in dieses Gedankenspiel.
Versetzen wir uns nun einmal in die Rolle eines türkischen Migranten. Zu Hause spricht er oder sie türkisch. In der Schule und in der Öffentlichkeit Deutsch. Somit sind Deutsch und Türkisch für ihn oder sie praktisch gleichwertige Sprachen, die beide wie eine Muttersprache beherrscht werden.
Erstens würde ich gerne mal die Annahme, dass das Kind des typischen Migranten zuhause ausschließlich türkisch spricht, anzweifeln. Österreich hat seit 1964 in der Türkei Gastarbeiter angeworben (Quelle, S.5). Unter den Jugendlichen, die Türkisch als 2. lebende Fremdsprache wählen könnten, werden auch einige sein, deren Eltern in Österreich aufgewachsen sind. Es ist naheliegend, dass sie daheim auch teilweise Deutsch sprechen.
Zweitens besteht doch ein gravierender Unterschied zwischen den Sprachkenntnissen, die man als Kind über die Muttersprache erlernt und jenen Kenntnissen, die man in der Schule vermittelt bekommt. Jede Deutschprofessorin wird davon zu berichten wissen, dass sie versucht, ihren Schülern „der wos“ und andere umgangssprachliche Phrasen abzugewöhnen und ihnen die korrekte Grammatik nahezubringen. Wer türkisch nur als gesprochene Sprache kennt, beherrscht die Sprache nicht.
Jetzt kann dieser Mensch im Alter von 12, 13, 14 oder 15 Jahren Türkisch als Schulfach wählen und mit 17 oder 18 darin maturieren. Doch was lernt er oder sie dabei, was nicht schon vorher gekonnt wurde? Okay, vielleicht ein paar grammatische Feinheiten, ein paar Vokabel oder ein wenig türkische Literatur.
Das Denken über den eigenen Kulturkreis hinaus lernt er oder sie aber sicher nicht.
Herr Korecky, Sie widersprechen sich selbst. Davon abgesehen: Wenn man, so wie es die FPÖ und auch die ÖVP in Wahlkampfzeiten regelmäßig vorführt, die eigene Kultur über die Sprache zu definieren sucht, dann liegt es nahe, dass die Sprache selbst kulturelle Merkmale zu transportieren vermag.
Die Matura wäre für diese Gruppe von Schülern somit quasi zum Diskontpreis zu haben gegenüber Jugendlichen mit deutscher Muttersprache.
Es gibt genug Fächer, in denen man „billig“ maturieren kann. Natürlich hängt das von den Lehrern ab–aber Religion und Bildnerische Erziehung sind öfters heiße Kandidaten.
Was mich an diesem Argument aber am meisten stört ist dieser Neidreflex: „Warum sollen’s die Migranten dabei einfacher haben als die Einheimischen?“ Ja warum nicht? Warum sollte man Jugendlichen, die zu einem größeren Teil aus bildungsfernen Schichten stammen, die teilweise kein perfektes Deutsch als Muttersprache mitbekommen haben und sich anderen widrigen Umständen zu Trotz bis zur AHS-Matura durchgearbeitet haben, nicht ein Fach anbieten, in dem sie Vorteile haben?
Warum sollen österreichische Jugendliche mit Migrationshintergrund nicht die Möglichkeit bekommen, auch jene Sprache zu lernen, in der sie ihren Großeltern einen Brief schreiben können? Warum sollte man den österreichischen Schülerinnen und Schülern nicht die Möglichkeit geben, eine Sprache zu lernen, die von 65 Millionen Leuten in der Nähe Europas als Muttersprache gesprochen wird? Es wird ja niemand dazu gezwungen, Türkisch zu lernen, genauso wie niemand ein Problem damit hat, dass auch Russisch auf der Liste der möglichen zweiten lebenden Fremdsprachen steht! Warum sollten sie nicht die Möglichkeit haben, die Sprache eines Landes zu erlernen, das vor den Toren der EU liegt und für europäische Unternehmen ein bedeutender Zukunftsmarkt ist?
Warum nicht?