Die NZZ.at sperrte zu. Das ist schade, einerseits für die Angestellten, andererseits für die Medienlandschaft selbst. Die Redakteure hatten die Zeit und den Platz, um zum einen oder anderen Thema gut recherchierte, informative Artikel in nahezu epischer Länge zu schreiben. Besonders in Erinnerung blieben mir ein paar Artikel zur Innenpolitik und zum Parlamentarismus. Die liberale Ausrichtung des Mediums – wer Aktionär der schweizerischen Mutter NZZ werden möchte, darf nicht Mitglied einer anderen Partei als der Schweizer FDP sein – störte mich nicht.
Die NZZ.at war ein Experiment, journalistisch und auch kaufmännisch – man rechnete damit, dass es schiefgeht, und das tat es schlussendlich auch. Sie zog von vornherein eine „harte“ Paywall ohne Gratis-Artikel auf. (Die zahlenden Kunden konnten aber hinter die Paywall führende Links auf ihren Social Media-Kanälen und auf andere Weise teilen.) Das Digitalabo kostete im ersten Monat einen, dann 14€; außerdem hatte sie zu Beginn ein besonderes Angebot:
Hey, wir bieten ein Jahresabo um hundert und ein Lifetime-Abo um tausend Euro an und hoffen, dass wir nicht in 3 Jahren zugesperrt werden.
— Daniel I (@danimrich) 17. November 2014
@danimrich (Die Preisgestaltung der @NZZat zeugt von einem gewissen Optimismus.)
— Daniel I (@danimrich) 17. November 2014
Der Preis scheint auf den ersten Blick vernünftig. Ein typisches Abo einer Tageszeitung kostet ein Vielfaches und auch die e-Paper-Abos von Presse und Standard kosten ein paar Euro mehr.
Mit einem Zeitungsabo geht eine Erwartung an das Medienkonsumverhalten einher: Wer eine Zeitung abonniert, liest sie– in gedruckter oder digitaler Form – beispielsweise am Frühstückstisch und stillt sein Bedürfnis nach Informationen. Die Zeitung erhebt den Anspruch, einen großen Teil des Informationsbedürfnisses abzudecken; den Rest besorgen Magazine, Fernsehen und Radio.
Bloß: Viele Konsumenten machen das nicht mehr so.
In den vergangenen Jahren habe ich selbst immer wieder mal die eine oder andere Zeitung zur Probe abonniert. Vieles war mir nicht mehr neu: im Web war es schon am Vortag Thema. Gelegentlich fand ich: darüber hätte der Autor viel mehr schreiben können, aber der Platz reichte nicht aus. Kurzum: die Zeitungen landeten oft wenig gelesen im Altpapier. Mir war das zu schade.
Dabei las ich sicher nicht weniger als der typische Zeitungsleser: es verteilte sich bloß auf viel mehr verschiedene Medien – nationale und internationale, reine Onlinemedien, Zeitungs- und Magazinwebsites, Blogs und einige mehr. Für die Auswahl der Artikel, die ich sehe, sind nicht mehr nur die Redaktionen von ein paar Medien zuständig, sondern auch meine eigenen, persönlichen Bubbles: Twitter, Google Now und andere Medienaggregatoren.
Die NZZ hat diesen Wandel im Medienkonsum meiner Einschätzung nach begriffen, und das ist ihr hoch anzurechnen. Sie hat auf Agenturmeldungen, die man auf so ziemlich jeder anderen Zeitungswebsite finden kann, verzichtet, und neue, längere Formate probiert. Damit vermied sie, dass die aufwändigen Eigenproduktionen in den simplen Agenturmeldungen untergehen.
Was leider offenbar nicht funktioniert hat, ist deren Abomodell. Deren Chefredakteur hat das vor kurzem in einem der interessanten Artikel zum Abschied geschrieben. Er nennt den Preis „aggressiv“, die Paywall „abschreckend“ und schlägt im Nachhinein einen Preis von maximal 9€ vor, in Anlehnung an die Preisgestaltung von Netflix und Spotify.
Aber: Machen die Nutzer mit, wenn sich mehrere der von ihnen gelesenen Onlinemedien für eine Paywall à la NZZ.at zu diesem Preis entscheiden? Wie viele solcher Abos wollen sich die Nutzer leisten? Wer vier davon hat, zahlt ähnlich viel wie für ein gewöhnliches Zeitungsabo. An diesem Punkt ging das Geschäftsmodell der NZZ.at nicht mit dem Wandel im Medienkonsum mit. Je mehr verschiedene Medien ich konsumiere, desto weniger kann und möchte ich für den Konsum eines einzelnen Mediums bezahlen, zumal ich dort nur eine Handvoll Artikel pro Monat lese. Leider gibt es noch kein „Netflix für Onlinemedien“ im deutschsprachigen Raum. Was es gibt, sind einige Alleingänge in Sachen Paywall und ein paar Versuche, einzelne Artikel per Micropayment zu verkaufen (z.B. via Blendle oder bei Heise und beim Falter). Was es auch gibt, ist read it, ein Dienst, mit dem man die e-Paper-Ausgaben vieler Magazine und weniger Zeitungen zu einem fixen Preis von knapp 10€ monatlich lesen kann. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber mit den Nachteilen der e-Paper und nur zwei österreichischen Tageszeitungen.
Ich wünsche mir, dass auch andere Medien aus den Ergebnissen des Experiments NZZ.at lernen. Den Redakteuren wünsche ich, dass andere Medien ihnen die Freiheit und den Raum geben, den sie dort hatten.
Das ist ein sehr informativer Artikel, vielen Dank!